Projektverantwortliche aus zehn Gemeinden und Regionen trafen sich zu einem ersten
Austausch im Programm Socius. Dabei zeigte sich: Wenn es darum geht, ältere Menschen zu unterstützen, stellen sich gemeinsame Herausforderungen.
Ältere Menschen sollen die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um möglichst selbständig leben zu können. Das ist das Ziel des Förderprogramms Socius der Age-Stiftung, bei dem 2015 bis 2018 zehn ausgewählte Projekte in Gemeinden und Regionen der Deutschschweiz finanziell unterstützt werden. Die Projekte sehen vor, zentrale Anlaufstellen für ältere Menschen aufzubauen, die Leistungen von Spitex, Pflegeheimen, Spitälern und weiteren Anbietern aufeinander abzustimmen, pflegende Angehörige zu stärken, Quartiere altersfreundlich zu gestalten und die Nachbarschaftshilfe zu fördern. An der Auftaktveranstaltung vom 11. Juni 2015 in Zürich kamen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erstmals zusammen. Sie stellten sich gegenseitig ihre Projekte vor und diskutierten untereinander Chancen sowie mögliche Stolpersteine.
Die Beteiligten nahmen zudem konkrete Ratschläge für ihre jeweiligen Vorhaben entgegen. Dabei wirkten auch Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis mit, die in der Begleitgruppe des Programms vertreten sind. So begannen die Trägerschaften vom Lern- und Wissensumfeld zu profitieren, welches das Programm schaffen will. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wolle «Socius» einen Nutzen stiften, der über das einzelne Projekt hinausgehe, sagte Antonia Jann, Geschäftsführerin der Age-Stiftung, an dem Anlass. Programmleiterin Christiana Brenk bezeichnete das gemeinsame Lernen und den Wissenstransfer nach aussen als wesentliche Elemente des Programms. Die Ergebnisse werden dokumentiert, zudem ist eine Begleituntersuchung vorgesehen, welche die Erkenntnisse aus den Projekten systematisiert und die Wirkung der Projekte darstellt.
Pflege, aber auch Quartierentwicklung
Die Auftaktveranstaltung zeigte, dass die zehn Projekte von Biel bis Zimmerberg zwar unterschiedliche Schwerpunkte setzen, um vor Ort Unterstützungsnetzwerke für ältere Menschen und deren Angehörige aufzubauen. Gleichzeitig sind die Verantwortlichen aber mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert. Der Soziologe François Höpflinger hob den sozialräumlichen Ansatz als roten Faden aller Projekte hervor. Altersarbeit werde zunehmend nicht mehr nur medizinisch-pflegerisch gedacht, sondern auch an Quartierentwicklung und Nachbarschaftsstrukturen gekoppelt. Ein Fortschritt, wie der langjährige Altersexperte befand. Projekten, denen es gelinge, gesundheitliche und soziale Aspekte zu verbinden, wurde denn auch Vorbildcharakter attestiert.
Die Psychologin und Dozentin Stefanie Becker, Präsidentin der Schweizerischen Gerontologischen Gesellschaft, brachte einige gemeinsame Herausforderungen auf den Punkt. So gelte es in mehreren Projekten, verschiedene Player und Anbieter an einen Tisch zu bringen, von ambulanten und stationären Leistungserbringern über Beratungsstellen, Kirchgemeinden, Freiwilligen-Initiativen, Gemeinwesenarbeitenden, Seniorenvertretungen bis hin zu Behörden und Gemeinden, die zusammenspannen. Dabei müssten Partikularinteressen und Zielkonflikte integriert werden – eine Aufgabe, die einen langen Atem und gute Koordination erfordert, wie an der Tagung zum Ausdruck kam. Auch Konkurrenzsituationen am Markt können auftreten. Doch Verbundlösungen seien angesichts der alternden Bevölkerung ein Gebot der Zeit, so der Konsens. Das Gärtchendenken müsse überwunden werden, hiess es immer wieder in den insgesamt zehn Diskussionsrunden.
Nicht nur die Fitten und Aktiven
Eine Herausforderung für die Projektverantwortlichen ist es auch, an die Zielgruppe der älteren Menschen überhaupt heranzukommen. Wie lassen sich deren Bedürfnisse in Erfahrung bringen? Und wie gelangen später die Informationen über die Unterstützungsmöglichkeiten zu den Leuten? Wie stellt man sicher, dass auch die Interessen von Personen mit einem stärkeren Pflegebedarf, von Menschen mit Demenz, Einsamen und älteren Migranten gewahrt werden? Wie lassen sich die pflegenden Angehörigen erreichen, die oft stark ans Haus gebunden sind? Was ist mit jenen, die gar keine Hilfe wünschen? Und wie lässt sich in Schlafquartieren eine Kultur der Nachbarschaftshilfe aufbauen? Durch die Zusammenarbeit im Programm erhoffen sich die Teilnehmenden befruchtende Antworten auf solche Fragen. Als weitere Knacknuss gilt die Nachhaltigkeit der Projekte, sollen doch deren Resultate möglichst in Regelstrukturen überführt werden. Dies bedingt eine längerfristige Finanzierung – auch wenn das Socius-Programm ausdrücklich keine Kostensteigerung verursachen will.
Politische Rückendeckung, Verankerung in der Verwaltung und eine breite Vernetzung stärken die Projekte, so lautet ein Fazit. Empfehlenswert sei es zudem, die Mitsprache der Älteren zu suchen, generationenübergreifende Massnahmen zu treffen und die Angebote über die Gemeindegrenzen hinaus regional auszurichten. Bei letzterem Punkt lege das Socius-Programm ein Spannungsfeld offen, analysierte der Soziologe François Höpflinger. Es zeige, dass die Region für eine wirksame und zeitgemässe Altersarbeit eine wichtige Ebene sei, genauso wie das Quartier. Verfassungsrechtlich existierten jedoch heute nur die Gemeinde und der Kanton: «Unsere politischen Strukturen werden von der demografischen Entwicklung überholt. Sie entsprechen nicht mehr den relevanten Handlungsebenen von heute», bilanzierte der Altersforscher. Ein Auftakt mit Weitblick also – weitere Tagungen zum Erfahrungsaustausch innerhalb des Programms werden folgen.