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Programm Socius

23. Juni 2016

Liebe Leserinnen und Leser

Die Projektverantwortlichen des Programms Socius trafen sich am 10. Juni 2016 in Zürich zu ihrem jährlichen Erfahrungsaustausch. Hauptthema des Anlasses mit Beteiligten aus zehn Regionen der Deutschschweiz war der Umgang mit Schnittstellen, Doppel­spurigkeiten und Angebotslücken bei der Unterstützung älterer Menschen und ihrer Angehörigen. Gerne informieren wie Sie in unregelmässigen Abständen mit unserem Newsletter über die während des Programms erarbeiteten Erkenntnisse, über die Weiterentwicklung der Projekte, über Aktivitäten und versorgen Sie mit interessanten Informationen. Aktuelle Entwicklungen des Programms finden Sie auch auf der Webseite: www.programmsocius.ch

Von Perlenketten
und Trockenwiesen

Die Teilnehmendenden der Tagung diskutieren ihre Fragen und Lösungsansätze rund um das Tagungsthema

Der als Impulsgeber geladene Psychologe und Organisations­berater Ingo Heyn

Die Programmleiterin
Christiana Brenk

Ältere Menschen und ihre Angehörigen werden im Alltag wirksamer unterstützt, wenn die Leistungserbringer zusammenarbeiten. Doch können diese gleichzeitig konkurrieren und kooperieren? Die Beteiligten im Programm Socius tauschten ihre Erfahrungen aus.

Angebote der Altersversorgung, die sich wie Perlen zu einer Perlenkette verbinden. Oder zu einer Trockenwiese zusammenwachsen: artenreich, aber erst als Ganzes richtig schön. Man könnte auch den Vergleich zu Pilzen ziehen, die von einem weitverzweigten, feinen Geflecht unter dem Waldboden getragen werden. An solchen Symbolbildern für mehr Netzwerke und Zusammenarbeit mangelte es nicht, als sich die Projekt­verantwortlichen des Programms Socius am 10. Juni 2016 in Zürich zu ihrem jährlichen Erfahrungsaustausch trafen. Hauptthema des Anlasses mit Beteiligten aus zehn Regionen der Deutschschweiz war der Umgang mit Schnittstellen, Doppelspurigkeiten und Angebotslücken bei der Unterstützung älterer Menschen und ihrer Angehörigen. Zwar gibt es bereits heute zahlreiche Hilfs- und Beratungsangebote für Ältere – vom Mahlzeiten- und Fahrdienst über Wohnformen mit Service, hauswirtschaftliche Dienstleistungen und Spitex zuhause bis zur stationären Pflege und Betreuung. Doch die Angebote sind wenig koordiniert, Übergänge bleiben häufig unorganisiert. Kaum jemand hat den Überblick, schon gar nicht in der föderal aufgebauten Schweiz. So ist die ältere Bevölkerung oft nur unzureichend über Entlastungsmöglichkeiten informiert. Dies erschwert wirksame Hilfe und führt dazu, dass nicht früh genug Unterstützung geholt wird. Dem wollen die Projekte im Programm Socius vom Sensebezirk bis Schaffhausen entgegenwirken: Sie errichten bedarfsgerechte Unterstützungsnetzwerke, die zum gelingenden Alltag älterer Menschen beitragen. Damit sollen Betagte möglichst lange in der eigenen Wohnung bleiben können, wie es dem Wunsch der grossen Mehrheit entspricht. Und wie es – Stichwort ambulant vor stationär – auch politisch erwünscht ist.

«Senioren haben keine Zeit»

Beim Aufbau einer integrierten Versorgung stellen sich einige Herausforderungen, wie in den Berichten aus den Projekten zum Ausdruck kam. Um bei den Bildern zu bleiben: Die Perlenkette aufzufädeln oder die Trockenwiese zu bewirtschaften, ist ein ordentliches Stück Arbeit. Beratungsstellen, Hilfswerke, Fachorganisationen, Spitex, Heime, Kliniken, Kirchgemeinden, Quartierorganisationen, Seniorenvertretungen, Freiwillige, Liegenschaftsverwaltungen, Gemeinden, der Kanton: Wenn derart vielfältige Akteure sich an einen Tisch setzen sollen, treffen auch Gegensätze aufeinander. Konzepte, Kulturen und Zielsetzungen unterscheiden sich. Die einen wollen aufbauen, die anderen sparen. Die einen lassen Pragmatismus walten, die anderen halten professionelle Standards hoch. Die einen denken in Sozialräumen, die anderen an den Einzelfall. Manche wollen Geld verdienen, andere sehen das Heil in Gemeinschaftlichkeit. Auch das Tempo variiert, beispielsweise wenn motivierte Seniorinnen und Senioren an langsame Verwaltungsmühlen geraten. «Senioren haben keine Zeit», konstatierte trocken der Altersforscher François Höpflinger, Mitglied der Begleitgruppe des Programms Socius.

Auch Desinteresse und mangelnde Innovationsbereitschaft können den Netzwerkaufbau zur sportlichen Aufgabe machen, besonders wenn eine entsprechende politische Steuerung fehlt. Die grösste Herausforderung aber ist der Wettbewerb. In der alternden Gesellschaft wird die Altersarbeit zum stark wachsenden und lukrativen Markt. Immer mehr Anbieter tauchen auf, auch gewinnorientierte. Viele Leistungserbringer, die zur Zusammen­arbeit aufgerufen sind, stehen faktisch in Konkurrenz. Sie buhlen um die gleichen attraktiven Kundensegmente, um mediale Aufmerksamkeit, Spendenerträge und Leistungsaufträge der öffentlichen Hand. Für gewisse Institutionen steht dabei viel auf dem Spiel: das wirtschaftliche Fundament, historisch gewachsene Identitäten und Themenherrschaften.

Das Ziel: ein fairer Interessensausgleich

Ein gewisses Mass an Gärtchendenken und Wettbewerb «bringt man bei allen Bekenntnissen zur Zusammenarbeit nicht weg», wie es ein Tagungsteilnehmer zusammenfasste. Kommt dazu: Nicht alle Doppelspurigkeiten sind schlecht. Wettbewerb kann die Qualität steigern, und die älteren Menschen sollen als selbstbestimmte Bezüger von Dienstleistungen die Wahlfreiheit haben. Da hatte der als Impulsgeber geladene Psychologe und Organisationsberater Ingo Heyn eine gute Nachricht parat: Konkurrenz und Kooperation müssen sich keineswegs ausschliessen. Es gehe darum, beides gleichzeitig zu tun. Heyn sprach von der «Kunst der Co-opetition» – zusammengesetzt aus den englischen Begriffen «cooperation» (Zusammenarbeit) und «competition» (Wettbewerb). Vorbilder für die Altersarbeit sieht der Berater im Luftfahrtbereich, wo sich konkurrierende Fluggesellschaften zu strategischen Allianzen zusammengeschlossen haben. Heyn nannte einige Erfolgsfaktoren für Netzwerke, unter anderem gemeinsame Werte. Wichtig sei auch ein fairer Interessensausgleich unter den Beteiligten. Den erreiche man nur mit Gespräch und Dialog. Dabei dürften heikle Fragen – wer hat was zu verlieren – nicht ausgeklammert werden, sondern es gelte sie offen anzusprechen. Entstehende Netzwerke sollten sich ein Bild für ihre Kooperation schaffen, rät der Coach ganz konkret: «Was man zeichnen kann, ist wirklich da.»

«Fröhlich weitermachen»

Auch aus den Projekten selber wurden Lösungsansätze genannt. So hat man in der Praxis gute Erfahrungen damit gemacht, Ressourcen für eine externe, neutrale Moderation des Prozesses freizu­schaufeln oder eine Projektleitung anzustellen. Zurückhaltenden Akteuren kann der Mehrwert der Kooperation aufgezeigt werden, etwa, dass die Mitarbeit im Netzwerk Zugang zu Informationen eröffnet, die sonst nur schwer erhältlich sind. Einige Teilnehmer wiesen darauf hin, dass es wichtig ist, auch die Hausärzte einzubinden. Die Pragmatiker betonen, dass schon ein informelles Netzwerk aus engagierten Fachleuten Gutes bewirken kann, wenn es nicht möglich ist, ein offizielles Netzwerk zu realisieren. Nicht zuletzt müsste die öffentliche Hand die Organisationen vermehrt via Leistungsvertrag zur Zusammenarbeit verpflichten. Auch wenn es immer Akteure mit Einzelinteressen gebe, die gar nicht erst mitmachten oder nach unliebsamen Entscheiden aus dem Netzwerk ausstiegen, dürfen sich die Beteiligten nicht beirren lassen und sollten einfach «fröhlich weitermachen», meinte ein Tagungsteilnehmer. Beharrlichkeit ist gefragt – darin war man sich an dem Anlass absolut einig. Zusammenarbeit müsse geübt werden, sagte Antonia Jann, Geschäftsführerin der Age-Stiftung. In der Schweizer Altersversorgung laufe schon heute vieles gut, doch mit der demografischen Entwicklung werde das System an den Anschlag geraten, es brauche neue Ideen. Mit viel Eigeninitiative leisteten die Beteiligten in den zehn Projekten Pionier- und Aufbauarbeit, lobte Jann. Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Programm werden systematisch aufbereitet, damit breite Kreise davon profitieren können.

Das Programm Socius in Kürze

Im Oktober 2014 lancierte die Age Stiftung das Programm „Socius – wenn Älterwerden Hilfe braucht“. Das Programm dauert bis 2018. Es will einen Beitrag leisten zur Frage, wie in Gemeinden und Regionen ein passendes Unterstützungssystem für autonom lebende hochaltrige Menschen aufgebaut werden kann.

Das Programm verfolgt drei Ziele:

Gute Beispiele umsetzen: Maximal zehn Projekte in Gemeinden und Regionen werden fachlich und finanziell unterstützt beim Aufbau eines bedürfnisorientierten Unterstützungssystems.

Wissen generieren: In regelmässigen Treffen tauschen sich die Programmteilnehmenden über ihre Erfahrungen aus – eine Untersuchung begleitet das Programm.

Bewusstsein schaffen: Das Programm ermöglicht die Erarbeitung von spezifischen Fachwissen für die Steuerung von Prozessen und Vernetzung und sorgt für deren Weitergabe und Multiplikation.

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