Fünf Jahre Programm Socius. Ergebnisse – Erfahrungen – Perspektiven»
Tagung am 20. Juni 2019 in Baden

Ältere Menschen in ihrer Selbständigkeit unterstützen

Zehn Schweizer Gemeinden, Städte und Regionen zeigten alterspolitisch Initiative und nahmen mit kreativen Lösungen am Programm Socius der Age-Stiftung teil: Sie bauten Unterstützungssysteme auf, damit ältere Menschen länger in der eigenen Wohnung bleiben können. Die Ergebnisse wurden an einer öffentlichen Schlusstagung vorgestellt.

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Der demografische Wandel ist in der Schweiz spürbar. Es gibt immer mehr Ältere, die länger leben – eine gesellschaftlich neue Situation, mit der es umzugehen gilt. Doch die öffentliche Diskussion wird eng geführt. Das stellte Antonia Jann, Geschäftsführerin der Age-Stiftung, am 20. Juni an der Schlusstagung des Programms Socius vor über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Baden fest. Politik und Medien beschäftigen sich vorab mit ambulanter und stationärer Gesundheitsversorgung. Und mit der Frage, wie diese kosteneffizient auszugestalten sei. «Alterspolitik ist aber weit mehr, als Pflegebetten bereitzustellen und einen minimalen Auftrag an die Spitex auszurichten», unterstrich Antonia Jann.

Ältere Menschen gehörten nicht «versorgt», sondern in ihrer Selbständigkeit möglichst lange unterstützt. Um dies zu fördern, lancierte die Age-Stiftung 2014 das Programm Socius. Zehn Gemeinden und Regionen nahmen während fünf Jahren daran teil: die Städte Basel, Bern, Biel und Schaffhausen, die Gemeinden Bassersdorf und Horgen (ZH) sowie Bettlach (SO), der Freiburger Sensebezirk, die Region Frauenfeld (TG) und der Kanton Schwyz. Sie alle bauten neuartige Unterstützungssysteme für ältere Menschen auf. Dadurch sollen die Älteren im nahen Umfeld die Hilfe erhalten, die sie individuell brauchen, um zuhause zu leben.

Anlaufstellen, Nachbarschaftshilfe, altersfreundliche Quartiere

In Workshops, mit Referaten und an einem Podiumsgespräch unter der Leitung von Socius-Programmleiterin Christiana Brenk gaben die Beteiligten an der Schlusstagung Einblick in ihr Vorgehen. Zudem diskutierten sie die Ergebnisse mit Fachleuten aus dem Altersbereich und mit Vertreterinnen und Vertretern aus anderen Gemeinden, Städten, Verbänden und Organisationen. Hintergrund der Bestrebungen: Die meisten Älteren benötigen nicht in erster Linie Pflege, sondern Hilfestellungen im Alltag. Wer trägt den schweren Einkauf heim? Wer erklärt das Formular, das die Hausverwaltung geschickt hat? Wer stellt das Hörgerät so ein, dass es beim Telefonieren nicht pfeift? Und wer hat Zeit für einen Schwatz?

Die Palette der in den Socius-Projekten umgesetzten Massnahmen ist breit. Die Teilnehmenden richteten unter anderem Anlaufstellen ein, organisierten Nachbarschaftshilfe, gestalteten Quartiere altersfreundlich, stärkten betreuende Angehörige und eröffneten Treffpunkte. Dass die Stossrichtung stimmt, legt die Statistik nahe. Stefan Spycher, Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit (BAG), präsentierte die aktuellen Zahlen: Fast 85 Prozent der über 80-Jährigen in der Schweiz leben trotz altersbedingter Einschränkungen in Privathaushalten. Lediglich eine Minderheit wohnt im Pflegeheim. Der Wunsch, selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu bleiben, dürfte mit dem Älterwerden der Babyboomer-Generation, also der geburtenreichen Jahrgänge 1946 bis 1964, noch zunehmen. Es gebe einen starken Willen, zuhause älter zu werden, weiss Doris Meier-Kobler, Gemeindepräsidentin von Bassersdorf: «Das sollten wir ermöglichen.» 

Das Potenzial der Älteren

Gleichzeitig bietet sich der Gesellschaft die Chance, das Potenzial der Älteren selber zu nutzen, wie an der Tagung deutlich wurde. Nie gab es ein grösseres Reservoir an rüstigen Freiwilligen, die sich engagieren wollen und können. Sämtliche Socius-Projekte zeichnen sich durch den Einbezug der älteren Bevölkerung aus. In Städten und Gemeinden wirken heute viele ältere Menschen ehrenamtlich in den entstandenen Unterstützungsnetzwerken mit. 

Auch an Dienstleistungsangeboten für das Wohnen zuhause mangelt es an sich nicht. Ganz im Gegenteil: die «Seniorenwirtschaft» – wie es ein älterer Tagungsteilnehmer formulierte – wächst. Nur sind die professionellen oder gemeinnützigen Angebote den älteren Menschen kaum bekannt, wie sich herausstellte. Zudem stehen sie meist unkoordiniert nebeneinander. Die Socius-Projekte zielten denn auch darauf ab, den Zugang der Älteren zu Informationen über Hilfsangebote zu verbessern und die Zusammenarbeit der Anbieter auf möglichst unkomplizierte Weise zu koordinieren – von der Spitex über Spitäler, Hausärzte und Beratungsstellen bis zu Kirchgemeinden, Altersorganisationen und Vereinen. Was bei all dem die Erfolgsfaktoren sind, und wo die Stolpersteine liegen, wurde in einer Begleituntersuchung erforscht. So bringt das Programm Socius Wissen für die Praxis hervor.

Pioniergeist und Politik

«Eine aktive Bewegung ist entstanden, die daran arbeitet, das Wohnen zuhause zu erleichtern», bilanzierte Antonia Jann von der Age-Stiftung. Auch BAG-Vizedirektor Stefan Spycher würdigte die lokalen Eigeninitiativen, denn die demografische Alterung sei eine der grossen Herausforderungen der nächsten zehn Jahre. Bei allem Pioniergeist an der Basis wäre indes auch der Gesetzgeber gefordert, wie an der Tagung in mehreren Voten zum Ausdruck kam. Anders als die Pflege ist die so wichtige Betreuung im Alter finanziell nicht geregelt. Zwischen Politik und Zivilgesellschaft bestehe eine geteilte Verantwortung, befand die Soziologin Cornelia Hürzeler, Projektleiterin beim Migros-Kulturprozent, einer Partnerorganisation des Programms Socius. Die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit dürfe nicht überstrapaziert werden: «Sie ist im Umgang mit dem demografischen Wandel eine Schatzkiste, aber keine Feuerwehr.» 

Programm

  Tagungsprogramm

Referate

Dr. Antonia Jann
  Vom Mut zum Handeln

Dr. Stefan Spycher
  In guten Händen beim Älterwerden

Dr. Regula Ruflin
  Ergebnisse der Begleituntersuchung

Barbara Josef
  Was auf uns zukommen könnte

Podiumsdiskussion

Cornelia Hürzeler, Doris Meier-Kobler,
Marius Beerli, Dr. Stefan Spycher

Moderation

Christiana Brenk

Schlussdokumentation

  Schlussdokumentation Programm Socius

Schlussbericht socialdesig ag

  Begleituntersuchung zum Programm Socius

Workshops

Ein Anruf genügt: Kriterien einer wirksamen Anlaufstelle
  Workshop 1: Teil 1
  Workshop 1: Teil 2

Nachbarschaftliche Verbundenheit im Quartier
  Workshop 2

Einbinden und Entlasten von Angehörigen – lessons learned
  Workshop 3

Altern im urbanen Raum – Anlaufstelle «Info älter werden» in Basel
  Workshop 4

Wie gelingt Partizipation in der Projektentwicklung und im Alltag der Altersarbeit?
  Workshop 5

Aufgaben und Grenzen der Politik
  Workshop 6

Engagement der Zivilgesellschaft – Motivation und Erwartungen?
  Workshop 7

Umsorgt älter werden, wie geht das?
  Workshop 8

Wie hole ich die Ärzteschaft ins Boot?
  Workshop 9: Teil1
  Workshop 9: Teil2

Vernetzung der Akteure
  Workshop 10