Bettlach (SO)
Unterstützung für die Älteren – ein Anruf genügt
«In jeder Gemeinde sollte es eine Anlaufstelle für Ältere geben»
Bettlach im Kanton Solothurn spürt den demografischen Wandel. Die Gemeinde reagiert darauf mit einer zentral bei der Verwaltung angesiedelten Anlauf- und Informationsstelle für ältere Menschen. Gemeindepräsidentin Barbara Leibundgut (FDP) engagiert sich persönlich.
Wer in Bettlach aus dem Zug steigt, läuft bald aufwärts. Denn «Bettle», wie die Einheimischen das Dorf bei Grenchen nennen, liegt am Jurasüdfuss. Der Weg führt vorbei an den Industriebetrieben beim Bahnhof, am einzigen Hochhaus der Gemeinde – erbaut vom lokalen Medizinaltechnik-Pionier Robert Mathys – und an Vorgärten bis hoch zur Dorfstrasse 38. Dort steht das Gemeindehaus mit der zwölfköpfigen Verwaltung und dem Büro der Gemeindepräsidentin Barbara Leibundgut. Die Freisinnige hat das Amt seit 2013 inne, als erste Frau. Seit kurzem sitzt sie auch im Solothurner Kantonsparlament. Die 55-Jährige ist in Bettlach aufgewachsen. Ihre Mutter gründete dort einst die Spitex und präsidiert heute noch, mit 84 Jahren, den Frauenverein. «Wir sind eine Gemeinde mit regem Vereinsleben», stellt die Tochter fest, «und legen Wert auf unsere Selbständigkeit.»
Die attraktive Lage Bettlachs mit guten Verkehrsverbindungen führte zu neuen Wohnquartieren. Einfamilienhäuser prägen heute die Wohnstruktur und damit auch die demografische Zusammensetzung der knapp 5000 Einwohnerinnen und Einwohner: «‹Bettle› hat einen überdurchschnittlich hohen Anteil an älteren Menschen», sagt Leibundgut. Sie kennt viele Junge, die hier Wohneigentum erwerben möchten, doch das sei schwierig. Die Bodenpreise sind hoch, und die Älteren bleiben in ihren Einfamilienhäusern wohnen. «Viele haben ihre Häuser abbezahlt und können wesentlich günstiger wohnen als beim Wechsel in eine Mietwohnung», weiss Leibundgut. Zudem fehle es einigen Mehrfamilienhäusern im Dorf an Liften. Das spreche auch nicht für einen Umzug im Alter.
Bevölkerung altert
«Bettle» erfährt verstärkt, was zahlreiche andere Gemeinden ebenfalls kennen: die Bevölkerung altert. Schon heute ist knapp ein Sechstel der Einwohner über 70. Weil die Altersgruppe der 50- und 70-Jährigen gross ist, dürfte die Zahl der Älteren und Hochbetagten im Dorf in den kommenden Jahren nochmals überproportional steigen. Die Gemeindepräsidentin spürt den demografischen Wandel ganz konkret: «Jedes Jahr laden wir mehr Siebzigjährige zu unserer traditionellen Seniorenreise ein.» Sie hat die Alterspolitik zur Chefinnen-Sache gemacht und die kleine Gemeinde gemeinsam mit anderen Engagierten ins Socius-Programm der Age-Stiftung eingebracht. Der ganze Gemeinderat sei davon überzeugt, dass es wichtig sei, sich für den demografischen Wandel zu wappnen, betont sie.
Bettlach reagiert mit mehreren Massnahmen. Seit 2013 kümmert sich eine politisch zusammengesetzte Kommission für Gesellschafts- und Gesundheitsfragen unter anderem um Altersfragen. «Die Kommission ist beliebt, denn sie behandelt spannende Themen», sagt Leibundgut. Zunächst hatte man sich überlegt, ein neues Altersheim zu bauen, um genügend Pflegeplätze zu schaffen: «Doch damit würden wir den nachfolgenden Generationen eine Hypothek zurücklassen.» Denn nach den Babyboomern – den geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1946 und 1964 – wird die Zahl der Älteren wieder zurückgehen. Stattdessen will die Gemeinde Bedingungen schaffen, damit die ältere Bevölkerung möglichst lange unabhängig zuhause wohnen kann und gut ins Dorf integriert ist. «An Angeboten mangelt es nicht», so die Gemeindepräsidentin. Es gibt in Bettlach ein Alterszentrum mit Mahlzeitendienst, die Spitex-Organisation und die beiden Kirchgemeinden, die soziale Anlässe durchführen. Das Netzwerk Palliative Care Bettlach bildet zudem Freiwillige aus, die Angehörige von Menschen in der letzten Lebensphase begleiten.
Anlaufstelle im Gemeindehaus
Herausforderung für die Gemeinden ist laut Gemeindepräsidentin vielmehr, «die Angebote zu den Leuten zu bringen». Um die Information zu verbessern und einen niederschwelligen Zugang zu schaffen, richtete Bettlach im Sommer 2017 eine neue, zentrale Anlaufstelle im Gemeindehaus ein. Ältere Menschen und ihre Angehörigen können sich telefonisch oder vor Ort melden, wenn sie eine Frage zum Älterwerden zuhause haben. Zwei Mitarbeiterinnen der Einwohnerdienste erteilen Auskünfte zu Unterstützungs- und Beratungsangeboten. Sie können sich dabei auf eine Dokumentation stützen, die die Mitglieder der eigens gebildeten Socius-Kommission akribisch zusammengestellt haben.
Der dicke Ordner ist nach Anbietern und thematisch gegliedert, von Fahrdiensten über Unterstützung im Haushalt bis zu Notrufen und Besuchs- und Begleitdiensten. Bei der Erstellung der Dokumentation waren die Anbieter einbezogen. Es sind auch Private dabei, «aber in erster Linie möchten wir die von der öffentlichen Hand unterstützten Angebote bekanntmachen», sagt Leibundgut. Die Anlaufstelle gibt lediglich Auskünfte. Sie vermittelt keine Dienstleistungen und leistet ausdrücklich keine fachbezogene Beratung. Dafür gebe es die Fachstellen, unterstreicht die Gemeindepräsidentin: «Wir wollen diese keinesfalls konkurrenzieren. Dazu hätten wir weder das Fachwissen noch die Ressourcen.»
Vorerst ohne Zusatzkosten
Die Gemeinde siedelte die Drehscheibe bewusst bei den Einwohnerdiensten an, anstatt sie einer Altersorganisation zu übertragen. Das Gemeindehaus werde ohnehin frequentiert, erklärt die Gemeindepräsidentin. Zudem sei es «ein neutraler Ort». Das schätzten die Leute. Anfänglich als Pilotprojekt geführt, wird die Anlaufstelle nun definitiv weitergeführt. Zusatzkosten fallen für die Gemeinde vorerst nicht an. Der Pilotbetrieb zeigte, dass die Anlaufstelle im Pensum der beiden involvierten Mitarbeiterinnen Platz hat. Denn noch werden diese nicht mit Anfragen überhäuft. «Das Angebot muss bekannter gemacht werden», sagt die Gemeindepräsidentin. Erste Rückmeldungen sind aber positiv. Nachfragen ergaben, dass die Nutzerinnen und Nutzer die von der Anlaufstelle erhaltene Auskunft auch wirklich in die Tat umsetzten.
Die Drehscheibe führte dazu, dass Bettlachs Leistungserbringer sich stärker vernetzten – ein weiteres alterspolitisches Ziel. Auch künftig sollen Treffen stattfinden. Seit 2015 arbeiten das Alterszentrum und die Spitex eng zusammen. Das bringe grosse Vorteile, sagt Leibundgut: «Kurzaufenthalte im Heim, beispielsweise um pflegende Angehörige zu entlasten, können so rasch und unkompliziert organisiert werden.» Auch das Thema Wohnen im Alter will Bettlach in den nächsten Jahren vorantreiben. Angedacht ist ein Mehrgenerationen-Wohnen mit Betreuungsleistungen für die Älteren. Alle zwei Jahre findet zudem die Tagung «Älter werden z Bettle» statt. Sie findet jeweils regen Zulauf.
Wertschätzung für Alt und Jung
Bevor Barbara Leibundgut Gemeindepräsidentin wurde, leitete sie in der Stadt Solothurn eine Schule. Warum nun das grosse alterspolitische Engagement? «Die Älteren haben unsere Gemeinde weiterentwickelt und zu dem gemacht, was sie heute ist», antwortet sie, «es ist mir ein grosses Anliegen, dass es ihnen gut geht.» Leibundgut führte den Brauch ein, allen 90-Jährigen einen persönlichen Geburtstagsbesuch abzustatten. Ab 95 geht sie jährlich bei den Jubilaren vorbei.«Bei einigen dauert der Besuch länger, bei anderen kürzer», sagt sie, «doch alle freuen sich.» Die Allermeisten möchten in den eigenen vier Wänden alt werden, das zeige sich immer wieder. Diesem Wunsch komme die Gemeinde entgegen, wenn sie das Wohnen zuhause unterstütze. Nicht zuletzt könnte es sich auch dämpfend auf die erwartete Steigerung der Pflegekosten auswirken. Jetzt schon sei deren Anstieg zu spüren, sagt Leibundugt. Ihr Rat: «In jeder Gemeinde sollte es eine Anlaufstelle für Ältere geben.»
Doch bei all dem will Bettlach die Jungen nicht vergessen. Es seien schliesslich die Familien, die das Dorf weitertrügen: «Ich finde es ‹weltsschön›, wie sich Jüngere um die dreissig in unserem Dorfleben einsetzen.» Als kleines Zeichen der Wertschätzung gratuliert die Gemeindepräsidentin deshalb nicht nur den Betagten zum Geburtstag, sondern schickt frischgebackenen Eltern zur Geburt ihres Kindes eine Karte. Handgeschrieben. «Auch das wird geschätzt», stellt sie lächelnd fest. Langsam versteht man, warum die Lokalpresse Barbara Leibundgut auch schon als «Gemeindepräsidentin der Herzen» bezeichnete.
Susanne Wenger
So unterstützt Bettlach das Älterwerden
- Altersleitbild mit dem Ziel, das selbständige Wohnen zuhause und die Integration ins Dorfleben zu fördern
- Kommission für Gesellschafts- und Gesundheitsfragen kümmert sich um das Thema Alter
- Anlaufstelle bei den Einwohnerdiensten gibt Auskunft zu Unterstützungsangeboten für das Älterwerden zuhause
- Regelmässige Vernetzungstreffen von Anbietern und Leistungserbringern im Altersbereich zwecks besserer Koordination
- Enge Zusammenarbeit zwischen Alterszentrum und Spitex
- Regelmässige Tagung «Älter werden z ‹Bettle›»
- Schaffen von Wohnangeboten im Alter als Schwerpunkt der nächsten Jahre
Bettlachs Gemeindepräsidentin Barbara Leibundgut zeigt den Ordner mit den Angeboten für ältere Menschen.
Ein Ort am Jurasüdfuss mit vielen Einfamilienhäusern: Bettlach spürt den demografischen Wandel.
Jedes Jahr lädt Bettlach mehr Siebzigjährige zur traditionellen Seniorenreise ein. Die Gemeindepräsidentin ist jeweils mit von der Partie.