Region Frauenfeld (TG)

Stadt und Land gemeinsam für mehr Altersfreundlichkeit

«Die alternde Gesellschaft bringt Chancen»

Vier kleine Pilotgemeinden in der Region Frauenfeld im Kanton Thurgau schufen Grundlagen, um mit dem demografischen Wandel umzugehen. Sie beziehen dabei die ältere Bevölkerung ein, die sich engagieren will. Eine grosse Ressource, sagt Brigitte Fürer, die Geschäftsleiterin von «Regio Frauenfeld».

Frau Fürer, die Region Frauenfeld erkennt in der alternden Gesellschaft nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Entwicklungschance. Wie kommen Sie darauf?
Brigitte Fürer: Fast jeden Tag lese ich irgendwo einen Artikel, der vor den Risiken der demografischen Entwicklung warnt. Das werde ganz schlimm, lautet jeweils der Tenor. Selbstverständlich gilt es die Herausforderungen anzugehen, beispielsweise bei der Sicherung der Altersrenten. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber. In der Region Frauenfeld sehen wir auch Chancen, die sich ergeben, wenn die Babyboomer-Generation pensioniert wird. Noch nie gab es so viele ältere Menschen, die als Rentnerinnen und Rentner noch fit und voller Tatendrang sind. Sie bringen ihren grossen Erfahrungsschatz ein, wie wir auch im Rahmen des Socius-Projektes erfahren durften. Eine riesige Ressource für die Gesellschaft! In den 14 Erfolgsfaktoren, die wir für unsere Region definiert haben, wird denn auch die alternde Bevölkerung erwähnt. Die Region Frauenfeld soll gute Voraussetzungen als Wohnort und Zentrum für Seniorinnen und Senioren bieten.

Die Regionsgemeinden sollten im Rahmen des Socius-Projekts von den alterspolitischen Erkenntnissen der Stadt profitieren können. Unterscheidet sich das Älterwerden in der Stadt und im Dorf?
Ja, gerade von der Infrastruktur her. Kleine Gemeinden auf dem Land können nicht die gleichen Unterstützungsangebote bereitstellen wie die Stadt. Unser Bestreben war es, im Austausch zwischen der Stadt Frauenfeld und den vier Pilotgemeinden Matzingen, Pfyn, Stettfurt und Warth-Weiningen Lösungen erarbeiten zu helfen. Die Bevölkerung verteilt sich je etwa hälftig auf die Stadt und die ingesamt 14 Regionsgemeinden. Frauenfeld ist das unangefochtene Zentrum der Region und mit einem innovativen Alterskonzept sicher eine Vorreiterin. Die Gemeinden konnten für das Thema sensibilisiert werden, gehen aber ihre eigenen Wege. So zeigte sich, wie essenziell es für ein Dorf ist, Treffpunkte für ältere Menschen zu schaffen. Denn öffentliche Dienstleister wie die Post ziehen sich aus der Fläche zurück, es gibt keinen Laden und kein Restaurant mehr. Auch braucht es in den Landgemeinden vermehrt Wohnangebote für Ältere, denen ihr Einfamilienhaus zu gross geworden ist. Sie möchten aber vor Ort bleiben, weil sie dort ihr soziales Netz haben.

Anders als die Gemeinde und der Kanton ist die Region keine politisch institutionalisierte Ebene. Warum haben Sie das Thema alternde Bevölkerung auf Regionsebene angepackt?
Neben den bereits erwähnten regionalen Entwicklungsvorstellungen und dem Austausch zwischen Stadt und Pilotgemeinden gab es auch ganz pragmatische Gründe. Wir von «Regio Frauenfeld» merkten, dass das Thema Alter in den Gemeinden zunehmend aufschien. Es fehlten jedoch die Ressourcen, es so richtig auf die Agenda zu setzen. Wir werden aus Prinzip nur dort aktiv, wo wir wirklich ein Bedürfnis der Gemeinden verspüren. Und gerade weil die Region keine institutionalisierte Ebene ist, haben wir die Freiheit, gewisse Dinge auch einfach mal auszuprobieren. Das haben wir jetzt beim Thema Alter so gemacht. Dabei konnten wir einiges bewegen und erreichen.

Welche Altersthemen beschäftigen die vier Pilotgemeinden am meisten?
Wir führten 2016 in jeder Gemeinde eine Zukunftswerkstatt durch, um die Handlungsfelder auszuloten. Die Methode erwies sich als goldrichtig, da sehr motivierend. Die ältere Bevölkerung beteiligte sich erfreulicherweise überall sehr stark, das Projekt konnte mit viel Schwung und Aufbruchstimmung starten. Dabei kamen vier gemeinsame Top-Themen heraus: Wohnen und Älterwerden, Treffpunkte und Begegnung, Freiwilligenarbeit und Nachbarschaftshilfe sowie Informationen über Unterstützungsangebote für die Älteren.

Inzwischen wurden in den Gemeinden viele Massnahmen umgesetzt, vom Alterskonzept über Orientierungsbroschüren bis zu Erzählcafés, Spaziergruppen und der Video-Übertragung der Gemeindeversammlung in die Alterssiedlung. Was ist Ihnen übergreifend aufgefallen?
Da gibt es mehrere Aspekte. Die Gemeinden tauschten sich in den erhobenen Themenfeldern tatsächlich aus. Das stärkte unser Netzwerk. Dann war ich beeindruckt, wie entschlossen die Gemeinden vorwärtsmachten. Es war toll zu sehen, wie sich auch die älteren Menschen in die Arbeitsgruppen einbrachten und selber aktiv wurden. Völlig unkompliziert, mit viel Bodenhaftung, stellten sie richtiggehende Popup-Veranstaltungsreihen in ihrer Gemeinde auf die Beine. Besonders wichtig dünkt mich die Nachhaltigkeit. Die in Gang gesetzten Entwicklungen bleiben kein Strohfeuer, eine gewisse Kontinuität konnte gesichert werden. Denn alle vier Pilotgemeinden haben ein Alterskonzept erarbeitet oder sind dabei, das zu tun. Zudem wurden Gremien und Strukturen geschaffen, die das Thema Älterwerden über das Socius-Projekt hinaus in den Gemeinden verankern. (Siehe Zweittext , Anm. d. Red.) 

Wo lagen die Hindernisse, die Stolpersteine, die Herausforderungen?
Es war eine Herausforderung, den regionalen Anspruch einzulösen. Die Gemeinden arbeiteten sehr eigenständig, was für eine Pilotphase ja auch von Vorteil ist. So ergab sich eine Vielfalt an Lösungen, die jetzt weiteren Gemeinden Inputs geben können. Was klar herauskam: Die Gemeinden sind bereits extrem beansprucht mit zahlreichen Themen. Für kleinere Gemeinden ist es eine grosse Herausforderung, die notwendigen Ressourcen für den Umgang mit dem demografischen Wandel bereitzustellen. Eine Gemeinderätin brachte es einmal auf den Punkt, als sie halb im Scherz zu mir sagte: «Immer, wenn du von der ‹Regio› vorbeikommst, heisst das mehr Arbeit.» Der partizipative Ansatz stösst bei vielschichtigen Themen wie dem Wohnen und Älterwerden auch an Grenzen.

Wie geht es nun in der Region Frauenfeld mit dem Thema alternde Gesellschaft weiter?
Wir sorgen dafür, dass die Erfahrungen der vier Pilotgemeinden und der Stadt auch allen anderen Regionsgemeinden nützen können. Konkret werden wir auf unserer Website die Informationen bündeln. Erarbeitete Alterskonzepte sollen zugänglich gemacht werden, zudem stellen wir ein Factsheet mit den wichtigsten Erkenntnissen aus dem Socius-Projekt bereit und tragen nützliche Links zusammen. Eine Gemeinde, die sich des Themas annehmen will, soll nicht wieder bei Null anfangen müssen. Das ist das Ziel. Ausserdem gibt es im Bereich der Nachbarschaftshilfe ein Projekt, das nun mit regionaler Ausrichtung weiterverfolgt wird. Die Gemeinde Stettfurt will das Modell «KISS Zeitvorsorge» einführen, also freiwillige Nachbarschaftshilfe mit Zeitgutschriften fürs eigene Alter. Andere Gemeinden zeigten sich ebenfalls interessiert, und so prüft nun eine Spurgruppe die Gründung einer regionalen KISS-Genossenschaft. Ich bin sehr gespannt, wie es da weitergeht.

Sie sind vom beruflichen Hintergrund her Raumplanerin. Haben Sie als Koordinatorin im Frauenfelder Socius-Projekt ganz persönlich etwas über das Älterwerden gelernt?
Ja, definitiv. Zumal ich mit 54 Jahren ohnehin anfing, mir Gedanken über das eigene Alter zu machen. Auch durch meine Eltern war ich mit gewissen Fragen konfrontiert, beispielsweise zur Wohnsituation. Ich habe im Socius-Projekt fachlich viel gelernt, so auch über den Prozess des Alterns, der gar nicht so linear verläuft, wie ich dachte. Wegen eines gebrochenen Fusses ging ich eine Zeitlang an Krücken. So konnte ich ganz unmittelbar nachvollziehen, was wir im Projektteam mit Bezug auf das Alter diskutierten. Wie wichtig kurze Wege und eine hindernisfreie Umgebung sind, wenn man nicht mehr so mobil ist. Wie hilfreich und auch schön es ist, Menschen im Umfeld zu wissen, die Unterstützung anbieten. 

Interview: Susanne Wenger

 

Anlaufstelle, Info-Broschüren, aktives Gemeindeleben

«Umsorgt älter werden in der Region Frauenfeld»: so nannte sich das Projekt, mit dem «Regio Frauenfeld» 2015 bis 2019 am Programm Socius der Age-Stiftung teilnahm. In dem regionalen Verein sind die Stadt Frauenfeld und 14 umliegende Gemeinden vertreten. In den vier Pilotgemeinden Matzingen, Pfyn, Stettfurt und Warth-Weiningen – mit 1300 bis 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern – wurden mehrere Massnahmen in die Wege geleitet oder umgesetzt. Dabei brachte sich auch die ältere Bevölkerung ein und engagierte sich freiwillig. In Matzingen nahm eine bei der Gemeinde angesiedelte Anlaufstelle für Altersfragen und Nachbarschaftshilfe den Betrieb auf. Sie ist niederschwellig über eine Handy-Nummer erreichbar und soll auch mit der Spitex zusammenarbeiten. In Pfyn konstituierte sich eine Seniorenkommission, in der alle in der Altersarbeit engagierten Organisationen beteiligt sind. In Warth-Weiningen entstand die Interessengemeinschaft Generationen, mit einem Leistungsauftrag der Gemeinde. Matzingen und Pfyn publizierten Broschüren, die über Unterstützungsangebote für ältere Menschen informieren, also über Beratungsstellen, Alltagshilfen und Pflegeangebote. In Stettfurt und Warth-Weiningen organisieren Seniorinnen und Senioren Treffpunkte und Veranstaltungen, zum Teil unterstützt durch die Gemeindeverwaltung. Die Stettfurter Aktiven-Gruppe nennt sich «9507», angelehnt an die Postleitzahl. Die Anlässe in den Gemeinden reichen von Tauschmärkten und Dorfspaziergängen über Jassturniere und die Herstellung von Weihnachtskränzen bis zu Erzählcafés. Bei diesen erzählen sich die Anwesenden ihre Erinnerungen an bestimmte Themen, zum Beispiel Schulreisen. Auch die Erzählcafés werden von Freiwilligen aus der Gemeinde moderiert. (swe)

Region Frauenfeld

Den demografischen Wandel gemeinsam gestalten: In Stettfurt, Matzingen, Pfyn und Warth-Weiningen brachte sich die ältere Bevölkerung an Zukunftskonferenzen ein und belebt das Dorf mit Anlässen für alle Generationen.