Region Gantrisch (BE)

Dezentrale Anlaufstelle für Ältere im ländlichen Raum

In den Dörfern unterwegs: die fliegende Altersbeauftragte

Der Verein Altersnetzwerk Region Gantrisch betreibt neu eine Informations- und Koordinationsstelle. Diese wird von der Kommunikationsfachfrau Lisa Loretan geführt. Sie ist viel in der weitläufigen Gegend unterwegs, um ältere Menschen und Unterstützungsangebote zusammenzubringen.

Im Konzept war sie als «grösstes Anliegen» bezeichnet worden, seit Herbst 2021 ist sie in Betrieb: die Informations- und Koordinationsstelle des Altersnetzwerks Region Gantrisch. Dem Trägerverein gehören derzeit zwölf Gemeinden, sechs Kirchgemeinden und fünf Institutionen an, von der Spitex Gantrisch über drei Pflegeeinrichtungen bis zu einer Hausarztpraxis. Auch einige Einzelpersonen sind dem Verein beigetreten. Ältere Menschen und ihre Angehörigen können sich zum einen direkt an die Anlaufstelle wenden. Diese ist zum andern Dreh- und Angelpunkt eines regionalen Netzwerks verschiedenster professioneller und freiwilliger Akteurinnen und Akteure rund um das Thema Alter.

Beide Funktionen dienen dem alterspolitischen Ziel, ältere Menschen so zu unterstützen, dass sie länger selbständig zuhause wohnen können. Die Stellenbeauftragte Lisa Loretan nimmt ein 40-Prozent-Pensum wahr und ist hauptsächlich in der Region unterwegs. Wir treffen die 48-Jährige an einem Herbstnachmittag in Toffen, einer der Trägergemeinden. Dort nimmt sie am Erzählcafé der Kirchgemeinde teil, das von pensionierten Freiwilligen gestaltet wird. Mehrere Frauen und Männer sind gekommen, um Biografisches zum Thema Musik auszutauschen. Im Umfeld des Anlasses gibt uns Lisa Loretan Einblick in ihre Arbeit:

«Bevor das Erzählcafé in Toffen beginnt, nutze ich – in Absprache mit den Organisatoren – die Gelegenheit, mich den Anwesenden als Altersbeauftragte vorzustellen. Ich weise auf die Informations- und Koordinationsstelle hin und sage, dass man mich bei einem Anliegen oder einer Frage zum Leben im Alter kontaktieren kann. Auch lege ich unseren Flyer mit den nötigen Angaben auf. Ich halte das Ganze kurz, die Leute sind ja nicht wegen mir da. So wie an diesem Nachmittag in Toffen bin ich regelmässig auch an anderen Orten des Altersnetzwerks präsent, oft bei Anlässen und Treffpunkten von Kirchgemeinden. Es ist der aufsuchende Teil meiner Arbeit, bei dem ich mit älteren Menschen ins Gespräch komme.

Ich nahm auch schon an Mittagstischen für Seniorinnen und Senioren teil, wir plauderten beim Essen über Alltägliches, das Gärtnern, das Kochen. Ich war bei einer organisierten Gruppe von Spaziergängerinnen und Spaziergängern willkommen und turnte bei einem Bewegungstraining mit. Die Idee dahinter: Haben die älteren Menschen mich persönlich kennengelernt, denken sie wahrscheinlich eher daran, mich kontaktieren zu können, wenn sie einmal Unterstützung benötigen. Wir sind immer noch dabei, die Anlaufstelle bekanntzumachen. Dass man sich bei einer zentralen, neutralen Stelle melden kann und dann kostenlos Auskunft und Beratung zu Altersfragen erhält, gab es vorher in der Region nicht.

Anfragen thematisch breit

Wohlverstanden: Ich leiste die Unterstützung nicht selber. Meine Aufgabe ist es, den Überblick über die Angebote zu behalten. Die Anfragenden erhalten von mir Informationen, an wen alles sie sich wenden könnten. Je nach Situation vermittle ich einen passenden Kontakt direkt. Ich bin mit vielen verschiedenen Organisationen und Institutionen aus unserer Region verbunden, sei es für Hilfe im Haushalt, Fahrdienste, Wohnen im Alter oder einfach ein Gespräch, bei dem man sich etwas von der Seele reden kann. Oder auch, um betreuende Angehörige zu entlasten. Bei diversen Organisationen engagieren sich Freiwillige, etwa – um nur eines von vielen tollen Beispielen zu nennen – beim Verein WABE Gantrisch. Dieser stellt sich für Nachtwachen bei schwerkranken und sterbenden Menschen zur Verfügung. Der Einbezug gesellschaftlicher Kräfte gehört zum Konzept unseres Altersleitbilds.

Das Altersnetzwerk ist im Generationenhaus Schwarzenburg im Büro der Kinder- und Jugendfachstelle eingemietet. Ursprünglich war vorgesehen, dass man mit einem Anliegen auch dort vorbeikommen kann. Das wird jedoch noch kaum genutzt, die Anfragen kommen aufs Handy oder per Mail. Es sind noch nicht übermässig viele, aber immer mehr, und thematisch breit. So rief mich eine Tochter an, die ihre hochaltrige Mutter betreut und sich eine Auszeit wünschte. Ein älterer Mann kontaktierte mich mit der Frage, was er, am Rollator gehend, in der Region so unternehmen könnte. Eine ältere Frau besuchte ich auf ihren Wunsch zuhause, sie freute sich über die Abwechslung. Ich erzählte ihr vom Besuchsdienst-Angebot und half ihr, da sie nicht mehr so gut sieht, dessen Telefonnummer einzustellen.

Mit der Jugendarbeit ‹on tour›

Gemeinsam mit den Kirchgemeinden und anderen Partnern aus dem Netzwerk organisiere ich auch selber Veranstaltungen und gebe Impulse für neue Initiativen, dies an wechselnden Orten in den Trägergemeinden. So fanden eine Infomesse 60plus, eine Vortragsreihe zum Thema ‹Umsorgt älter werden› und ein Themenabend zum Älterwerden in der Region statt. Da war eine Vertreterin des Naturparks Gantrisch anwesend und beschrieb die Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu betätigen. In einer Gemeinde setzten wir die Idee eines Generationen-Mittagstisches um, bei dem sich ältere Menschen zu den Schülerinnen und Schülern der Tagesschule gesellen konnten. Wer weiss, vielleicht ergaben sich Kontakte für später einmal, wenn jemand Hilfe braucht, um Holz fürs Heizen ins Haus zu holen oder beim Rasenmähen.

Das Altersnetzwerk und einige freiwillig engagierte Pensionierte gingen auch schon mit der regionalen Jugendarbeit im Elektrobus ‹on tour›. Wir besuchten eine Schule, wo sich Jung und Alt in einer verlängerten grossen Pause über das Thema Sprache verständigen konnten. Die Jugendlichen erfuhren etwa, was das kaum mehr präsente Wort ‹Pfifouter› bedeutet (Schmetterling), die Senioren lernten das Jugendwort ‹cringe› (peinlich, zum Fremdschämen). Ein sehr gelungener Anlass, über den auch die Lokalmedien berichteten.

Franz & Vroni helfen weiter

Um das regionale Altersnetzwerk zu errichten, ist sehr viel Kommunikation gefragt. Da bringe ich als diplomierte Kommunikationsleiterin mein Know-how ein. Neben der Anlaufstelle ermöglichen wir der älteren Bevölkerung, sich selbständig über die Unterstützungsangebote zu informieren. Traditionell mit Flyern und Schreiben, digital mit unserer Website und der neuen Online-Plattform Franz & Vroni, in die ein Angebotsfinder integriert ist. Viele ältere Leute nutzen heute das Internet, andere weniger. Unabhängig davon schätzen manche es nach wie vor, etwas in der Hand zu haben. So geben wir Flyer mit den wichtigsten Adressen ab und vermerken darauf die zusätzlichen digitalen Info-Möglichkeiten. Einen eigens produzierten Flyer führen auch die Mitarbeitenden der Spitex Schwarzenburgerland mit. Er dient ihnen selber zur Information, und sie können ihn bei ihren Einsätzen älteren Menschen abgeben. Weitere Spitex-Organisationen sollen folgen.

Zusätzlich tausche ich mich mit Kontaktpersonen aus der Bevölkerung aus, die das Altersnetzwerk vor Ort bekanntmachen und selber ein Teil davon werden. Wir haben begonnen, sie in jeder Trägergemeinde zu suchen. Bereits konnten wir einige finden, darunter zwei Kirchgemeinderätinnen, eine pensionierte ehemalige Gemeinderätin sowie eine freiwillige Mitarbeiterin bei der Kirche, die auch sonst sehr aktiv im Dorfleben mitmacht. Die Kontaktpersonen werden zu sogenannten Multiplikatorinnen unserer Altersarbeit. Eine Kontaktperson übernahm es beispielsweise, unseren Verein an einer Veranstaltung in ihrer Gemeinde vorzustellen. Zusammen mit einer anderen Kontaktperson plane ich gerade einen Verwitweten-Treff in ihrer Gemeinde, als gemeinsames Kochen und Essen. Steht das Netz der Kontaktpersonen einmal, ist die Idee, sie zunehmend enger einzubeziehen.

Zusammenhalt ist da

Die Region Gantrisch ist ländlich, hügelig und zerklüftet – eine schöne Landschaft, in der man sich erholen und Kraft tanken kann. Die Bevölkerung verteilt sich weiträumig auf grössere und kleinere Dörfer, Weiler, einzelne Bauernhöfe. Ältere Menschen können auf intakte Dorfgemeinschaften zählen, das sehe ich bei meinen Besuchen. Es wird bemerkt, wenn jemand nicht zum Mittagstisch erscheint, und später nachgefragt, wie es der oder dem Betreffenden geht. An Altersnachmittagen ist der Saal brechend voll. Der Zusammenhalt ist da.

Doch wenn die Menschen älter werden und ihre Situationen komplexer, reicht die Hilfe der Nachbarn allein irgendwann nicht mehr aus. Zudem kann die Weitläufigkeit zu Einsamkeit führen, besonders, da viele Angehörige nicht mehr in der Nähe leben. Und für ältere Menschen, die nicht mehr so gut zu Fuss sind, ist der Weg ins nächste Dorf hier oft umständlich und beschwerlich. Um auch sie zu erreichen, haben wir unter anderem eine Aktion lanciert, bei der man jemandem Zeit schenken kann. Man kann eine Karte schicken und das Angebot machen. Die angeschriebene Person ist frei, es anzunehmen oder nicht.

Aufbau braucht Zeit

Ich selber wohne mit meiner Familie in Kaufdorf, einer der Trägergemeinden. Sie liegt an der Bahnlinie zwischen Bern und Thun. Besuche ich die nahen Dörfer, nehme ich das Velo. Um innert nützlicher Frist in die entlegeneren Orte zu kommen, bin ich auf das Auto angewiesen. Das Alter war für mich bei Stellenantritt ein neues Wirkungsfeld. Um mir Sachwissen anzueignen, absolviere ich einen gerontologischen Lehrgang. Inzwischen bin ich fasziniert vom Thema. Es ist vielseitig, ein richtiges Schnittstellenthema. Ich schätze die Begegnungen mit den älteren Menschen. Manche Schicksale und Lebenslagen klingen lange in mir nach. Die Seniorinnen und Senioren wie auch die Fachleute aus den Organisationen, mit denen ich zu tun habe, sind mir gegenüber offen und wertschätzend.

Mir gefällt unser alterspolitisch innovative Ansatz, den wir auch schon in auswärtigen Gemeinden vorstellen gehen konnten. Ja, die Region Gantrisch gilt als strukturschwach, die Gemeinden sind nicht auf Rosen gebettet. Umso wertvoller sind gute, einfache Lösungen, an die die Vereinsgemeinden derzeit 2 Franken 50 pro Einwohnerin und Einwohner bezahlen. Da bin ich gerne Teil davon und schöpfe mein 40-Prozent-Pensum aus. Natürlich könnte man immer noch mehr tun. Doch der Fortschritt ist, dass es überhaupt seit zwei Jahren eine solche gemeindeübergreifende Stelle gibt. Wir haben uns gemeinsam auf den Weg gemacht und sind in der Aufbauphase. Es wird noch viel Zeit brauchen, bis das Unterstützungsnetzwerk geknüpft ist und die älteren Menschen die Anlaufstelle ganz selbstverständlich nutzen.»

Aufgezeichnet von Susanne Wenger