Gemeinde Riehen (BS)

Daheim alt werden, selbständig bleiben – dank Wohnassistenz

«Frau Burri war uns eine Riesenhilfe»

Seit 2019 bietet die Gemeinde Riehen neben einer Siedlungsassistenz auch eine Wohnassistenz für die ältere Bevölkerung an. Yvonne und Niklaus Boesch nutzten die Beratung durch Fachfrau Irene Burri. Nun zieht das Ehepaar im hohen Alter um und freut sich auf die neue Wohnung mit Lift.

44 Jahre lang wohnten Yvonne (83) und Niklaus Boesch (84) in der gleichen Wohnung in Riehen bei Basel. Die Wohnung liegt in einer Wohn- und Gewerbeliegenschaft, in der Boeschs als Hauswartspaar arbeiteten. Im Haus fehlt ein Lift. «Wir mussten alles tragen, vom kleinen Putzlumpen bis zu grossen Gegenständen», erinnert sich Yvonne Boesch. Nachdem das Ehepaar die Hauswartsfunktion abgegeben hatte, konnte es in der Wohnung bleiben. Dreieinhalb Zimmer, zentral gelegen und doch ruhig nachts, günstiger Mietzins, nahe Einkaufsmöglichkeit, grosse Terrasse: «Wir hingen an dieser Wohnung», hält Niklaus Boesch fest. «Wir sagten immer: das ist unser Platz, hier bleiben wir, bis sie uns rausstellen.»

Doch dann nahmen Yvonne Boeschs Gehschwierigkeiten zu. Der fehlende Lift wurde zum Problem und die Treppe im Haus zum schier unüberwindlichen Hindernis. «28 Stufen sind es», sagt die Ehefrau. Sie weiss es nur zu genau. Dreimal fiel sie hin, mit glimpflichem Ausgang. Aber letzten Herbst zog sie sich eine Verletzung zu und musste ins Spital. Fortan verliess sie die Wohnung fast nur noch zum Einkaufen. «Sie nimmt jeweils den Ferrari mit», erzählt der Ehemann verschmitzt. Er meint den Rollator. Dieser sei praktisch, weil sie die Einkäufe darin verstauen könne, fügt die Ehefrau an. Trotzdem fühlte sich die unternehmungslustige Riehenerin in der Wohnung isoliert. «Ich gehe gerne ein bisschen raus», sagt sie. Mit den Stöcken sei das recht gut möglich. Wenn nur die Treppe nicht wäre!

Treppenhaus und Bad als Hindernisse

Auch den Ehemann belastete die Situation. Er befürchtete, dass seine Frau erneut stürzen würde und er ihr nicht würde aufhelfen können. Deshalb griffen Boeschs auf ein Angebot zurück, von dem sie durch den Sozialdienst im Spital erfahren hatten: die Wohnassistenz bei der Fachstelle Alter der Gemeinde Riehen. Die Wohnassistenz wird durch Sozialarbeiterin Irene Burri wahrgenommen, die auch Siedlungsassistentin in der gemeindeeigenen Alterssiedlung ist. Nachdem der Kontakt angebahnt war, «kam Frau Burri schnell wie ein Düsenflugzeug zu uns», rühmt Yvonne Boesch. Die Angesprochene bestätigt lachend: In solchen Situationen sei es wichtig, rasch zu reagieren. «Je früher die Beratung einsetzt, desto wahrscheinlicher finden sich Lösungen, um in den eigenen vier Wänden zu bleiben.»

Irene Burri besuchte das Ehepaar Boesch dreimal in der Wohnung. Sie erkannte, dass neben dem Treppenhaus auch das Badezimmer zur Herausforderung geworden war. Um zu duschen, musste man in die Badewanne steigen. Das barg Sturzgefahr. Zusammen mit den Boeschs klärte die Siedlungs- und Wohnungsassistentin zunächst mögliche Anpassungen in der bestehenden Wohnung ab. Am meisten hätte es gebracht, einen Treppenlift einzubauen. Baulich wäre dies möglich gewesen. Und die Boeschs wären bereit gewesen, die Kosten selber zu tragen. Sie waren froh, dass Irene Burri das Thema auch direkt mit der Liegenschaftsverwaltung besprach. Die Verwaltung bewilligte den Treppenlift jedoch nicht.

Die ersehnte Lösung

So kamen die Boeschs, ihr Sohn, der die Eltern unterstützt, und die Wohnassistenz gemeinsam zum Schluss: Ein Umzug ist nötig und sinnvoll. Irene Burri war bei der Wohnungssuche behilflich. Neben der Hindernisfreiheit war der Mietzins ein Kriterium. Dass er höher sein würde als bisher, schien unvermeidlich. Doch es gilt laut der Fachfrau stets mitzudenken, ob eine Person allein den Betrag auch noch stemmen könnte. Dies zum Beispiel für den Fall, dass die Partnerin, der Partner ins Pflegeheim zieht. «Wir gingen diverse Wohnungen anschauen», erzählt Niklaus Boesch. Gepasst hat es nie, sei es wegen Treppenstufen beim Hauseingang, zu steilen Rampen für Menschen mit Rollator oder winzigen Badezimmern, in denen eine Spitex-Vertretung – sollte sie einmal nötig sein – kaum Platz hätte.

Die Anmeldung für eine Wohnung in der Alterssiedlung Drei Brunnen brachte dann die ersehnte Lösung: Diesen Sommer kann das Ehepaar dort eine Drei-Zimmer-Wohnung beziehen. Die Siedlung mit ihren insgesamt 57 Wohnungen gehört der Gemeinde und liegt nicht allzu weit von Boeschs altem Logis entfernt. Der neue Mietzins beträgt 1660 Franken monatlich, inklusive Nebenkosten. Inbegriffen ist auch ein Wäscheservice und die Siedlungsassistenz als Ansprechperson vor Ort. Sozialleben und Nachbarschaftshilfe werden bewusst gepflegt. Zudem befindet sich ein Spitex-Stützpunkt vor Ort.

«Sack mit Sorgen fällt ab»

Dass die Boeschs die Wohnung erhielten, hatte mit der Dringlichkeit ihrer Situation zu tun. Und damit, dass die Gemeinde durch den Kontakt des Ehepaars mit der Wohnassistenz von der Dringlichkeit wusste. Denn die Abteilung Gesundheit und Soziales der Gemeinde Riehen, bei der die Fachstelle Alter und die Siedlungs- und Wohnassistenz angesiedelt sind, hat seit kurzem ein Mitspracherecht bei der Vermietung der Wohnungen in der Alterssiedlung. Das sei sehr sinnvoll, sagt Irene Burri. So könne unter anderem verhindert werden, dass jemand nur deswegen ins Pflegeheim ziehe, weil die Wohnung nicht mehr passt.

«Wir sind noch selbständig»

Als begeisterte Köchin freut Yvonne Boesch sich besonders darauf, in der neuen Wohnung die Küche einzuweihen. Ihr Mann sagt, er sei vor allem erleichtert. Die letzte Zeit sei wegen der gesundheitlichen Probleme nicht leicht gewesen. «Doch hier sind wir nun», so Niklaus Boesch: «Wir sind noch selbständig und führen unseren Haushalt selber.» Die Dienste einer Reinigungshilfe, die schon in der alten Wohnung vorbeikam, will das Ehepaar auch am neuen Ort beanspruchen. Man vertraue ihr voll und ganz, betonen die beiden. Der Schrebergarten wird ebenfalls beibehalten, er ist vor allem Niklaus Boesch ein willkommener Ausgleich.

Dass die Gemeinde eine Wohnassistenz für Ältere anbietet, begrüsst das Riehener Ehepaar. «Noch nie vorher wurden wir von einer Behörde so unterstützt», sagt Yvonne Boesch. Ihr Mann pflichtet ihr bei: «Frau Burri war uns eine Riesenhilfe.» Die Siedlungs- und Wohnassistentin gibt das Kompliment zurück. Die gute Lösung sei vor allem auch dank dem Ehepaar Boesch selber zustandegekommen. Die beiden seien bereit gewesen, sich beraten zu lassen, sich an ihre altersbedingten Einschränkungen anzupassen und gar einen Wohnungswechsel in Kauf zu nehmen: «Davor habe ich grosse Hochachtung.»

Chancen und Grenzen einer Wohnassistenz

Wohnassistenzen für die ältere Bevölkerung haben in der Schweiz immer noch alterspolitischen Pioniercharakter. Die Gemeinde Riehen mit ihren 21'000 Einwohnerinnen und Einwohnern führte die kombinierte Siedlungs- und Wohnassistenz 2019 als Pilotprojekt ein. Sozialarbeiterin Irene Burri ist seither mit einem 80-Prozent-Pensum nicht mehr allein für die gemeindeeigene Alterssiedlung da, sondern sie steht als Ansprechperson allen in der Gemeinde wohnhaften Älteren zur Verfügung. Mit dem Projekt nimmt Riehen am Programm Socius 2 der Age-Stiftung teil. Zu den Zielen der Wohnassistenz gehört es, die älteren Menschen beim Verbleib in der eigenen Wohnung zu unterstützen, ihre Wohnfähigkeit zu erhalten und zu fördern und dadurch verfrühte Pflegeheimeintritte zu verhindern.

Rund 130 ältere Personen beriet Irene Burri inzwischen zur Wohnsituation, meist in ein bis drei Runden und oftmals gemeinsam mit Angehörigen. Elf Personen begleitete sie über mehrere Wochen, um Unterstützung zu organisieren. Das Projekt fülle eine Lücke, bilanziert die Fachfrau. Pflegeheimeintritte sind im Kanton Basel-Stadt ausschliesslich bei nachgewiesenem Pflegebedarf möglich. Ob dieser vorliegt, wird in Riehen durch zwei Pflegeberaterinnen der Gemeinde abgeklärt. Ergibt die Abklärung keinen Bedarf an Pflege, kann nun – wenn die Betroffenen einverstanden sind – die Wohnassistenz aktiv werden. «So lassen sich Situationen auffangen», weiss Irene Burri.

Nähe erarbeiten

Sie schaut jeweils, wie die Wohnsituation altersgerecht angepasst werden kann. Sie klärt ab, ob Anspruch auf finanzielle Beiträge besteht, von Ergänzungsleistungen über die Hilflosenentschädigung bis zu den Gemeindebeiträgen an pflegende Angehörige, wie sie im Kanton Basel-Stadt entrichtet werden. Zudem vermittelt sie wenn nötig Unterstützung zuhause, beispielsweise im Haushalt, bei administrativen Angelegenheiten oder um soziale Kontakte zu ermöglichen. Als Wohnassistenz ist Irene Burri auch aufsuchend tätig. Da stösst sie immer wieder auch an Grenzen. Vielfach bereite es älteren Menschen zunächst Mühe, Hilfe anzunehmen. Manche haderten mit dem Verlust eigener Fähigkeiten. Andere scheuten sich, Drittpersonen in die Wohnung zu lassen.

Ältere Menschen in diesem Prozess zu begleiten und ihnen die Möglichkeiten aufzuzeigen, betrachtet die Sozialarbeiterin als eine ihrer Aufgaben. «Die Nähe muss erarbeitet werden», stellt sie fest. Wenn möglich bleibt sie in Kontakt. Oder sie erlebt, wie sich Menschen mit der Zeit selber bei ihr melden. «Ich bin immer wieder beeindruckt, was ältere Menschen auf sich nehmen, um weiterhin selbständig wohnen zu können», sagt sie. Ein Punkt, der ihre Arbeit erschwert, ist der Mangel an bezahlbarem altersgerechtem Wohnraum. Hilfreich in ihrer Tätigkeit ist die Zusammenarbeit mit anderen lokalen und regionalen Akteuren, von der Spitex über Spitalsozialdienste bis zur GGG Benevol, die in Riehen im Auftrag der Gemeinde Freiwilligeneinsätze organisiert. Noch im Verlauf von 2023 entscheidet der Gemeinderat, ob die Wohnassistenz nach dem vierjährigen erfolgreichen Pilotprojekt definitiv eingeführt wird.

Text: Susanne Wenger