Stadt Uster (ZH)

Hilfe ins Haus holen – leicht gemacht

«Wollen Gemeinden stationäre Pflegekosten reduzieren, müssen sie in eine gute Altersarbeit investieren»

Die Stadt Uster im Zürcher Oberland unterstützt ältere Menschen jetzt noch gezielter dabei, trotz altersbedingter Einschränkungen zuhause wohnen zu bleiben. Silvia Angst, Leiterin der Fachstelle Alter, erklärt im Interview, was neu umgesetzt wird und wie die Stadt dazu kam.

Silvia Angst, Uster hat seit längerem eine fortschrittliche Alterspolitik. Was ist deren wichtigstes Ziel?

Silvia Angst: Dafür zu sorgen, dass die älteren Menschen möglichst lange zuhause leben können. Das ist nicht allein der Wunsch der Älteren selber. Es liegt auch im Interesse der Stadt, ältere Menschen daheim zu unterstützen, anstatt wegen der zunehmenden Zahl älterer Menschen viele neue Pflegeplätze zu errichten – was mit hohen Kosten verbunden ist. Uster hat als drittgrösste Stadt im Kanton Zürich eine gewisse Grösse, deshalb verfügen wir bereits über ein gutes Altersangebot, darunter vielfältige Unterstützungs- und Entlastungsdienste für zuhause lebende ältere Menschen, wie etwa Mahlzeitendienst, Fahrdienst und Besuchsdienst.

Wie wird die ältere Bevölkerung darüber informiert?

Wir haben eine Broschüre erarbeitet, in der alle Angebote aufgeführt sind. Sie ist gedruckt und online erhältlich. Eine Übersicht über Kurse, beispielsweise für Bewegung, und Veranstaltungen rund ums Alter ist ebenfalls in gebündelter Form vorhanden. Das sind zwei beliebte Dokumente, die auch von den Organisationen des Altersbereichs abgegeben werden. Die Fachstelle Alter steht ausserdem als Anlaufstelle für Information und Beratung zur Verfügung. Darauf aufbauend entwickeln wir nun das Angebot weiter und passen es den Bedürfnissen einer neuen Generation von Älteren an, die Wert auf Eigenständigkeit legt. Dazu gehört es, intermediäre Strukturen zu fördern.

Was verstehen Sie unter intermediären Strukturen?

Angebote wie betreutes Wohnen, Tages- und Nachtstrukturen, Ferienbetten oder auch temporäre Aufenthalte in Alters- und Pflegezentren. Stationäre Einrichtungen stellen also vermehrt auch Angebote für zuhause lebende ältere Menschen zur Verfügung. Das dient auch der Entlastung von Angehörigen. Der Fokus richtet sich vermehrt darauf, ältere Menschen so zu unterstützen, dass sie wieder nach Hause zurückkehren können.

Die Stadt hat ältere Menschen zur Weiterentwicklung des Angebots befragt. Wie gingen Sie vor?

Wir gingen partizipativ vor, weil wir das Angebot nicht für die älteren Menschen gestalten wollen, sondern mit ihnen. Konkret führten wir vertiefte Interviews mit älteren Personen durch, die schon auf Unterstützung beim Wohnen zuhause zurückgreifen. Wir wollten herausfinden, wie es ihnen gelungen ist, dies aufzugleisen, was ihnen dabei geholfen hat und was sie vermisst haben. Dadurch erhofften wir uns Rückschlüsse, wie wir den Älteren von der Stadt her noch besser beistehen können, damit der Prozess gelingt. Pandemiebedingt mussten wir die elf Interviews telefonisch führen, darunter auch solche mit Angehörigen.

Was war aus Ihrer Sicht das wichtigste Ergebnis?

Wie schwer es ist, sich einzugestehen, dass man Unterstützung braucht. Und wie anspruchsvoll es ist, sich auf den Weg zu machen und die passende Unterstützung zu finden. Das ist ein langer Prozess für die Betroffenen. Was wir auch feststellten: Sie möchten, dass es dann schnell geht. Ist der Entscheid einmal gefallen, wollen die Menschen nicht noch lange auf die Unterstützung warten. Das ist teilweise ein Problem, etwa wenn Freiwilligenorganisationen sich bemühen, jemand Passendes für den Einsatz zu finden – und dies dann ein Weilchen dauert.

Uster wollte besonders auch herausfinden, wie «vulnerable» Ältere unterstützt werden können. Was heisst «vulnerabel» in diesem Zusammenhang?

Gemeint sind ältere Menschen in komplexen Situationen, wie Demenzbetroffene, Menschen, die nicht mehr gut zu Fuss sind, Ältere mit Migrationshintergrund, weniger begüterte Ältere und betreuende Angehörige. Um mehr über die Bedürfnisse dieser Gruppen zu erfahren, führten wir zusätzlich Interviews mit Fachpersonen aus dem Altersbereich durch. Daraus ging klar hervor, dass wir für die genannten Zielgruppen noch mehr tun müssen.

Sie wollen nun neun Massnahmen umsetzen. Welches ist jene mit der grössten Hebelwirkung?

Wohl das Case Management, das wir in Uster derzeit aufbauen. Im Verlauf von 2023 soll dafür eine neue Stelle im Umfang zwischen 40 und 60 Prozent geschaffen werden. In einem Pilotprojekt wollen wir Erfahrungen sammeln. Das ist uns auch dank der Teilnahme am Programm Socius möglich. Die Idee des Case Managements ist es, ältere Menschen und Angehörige dabei zu unterstützen, im Bedarfsfall rasch Hilfe aufzubauen, und sie dann längerfristig zu begleiten. Dabei soll es auch aufsuchende Arbeit geben, also Hausbesuche.

Eine weitere Massnahme richtet sich speziell an Bezügerinnen und Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL). Was hat die Stadt da vor?

EL-Bezügerinnen und -Bezügern soll mittels Gemeindezuschüssen in bestimmten Fällen der Verbleib zuhause ermöglicht werden. Als Beispiel: eine nicht mehr so mobile ältere Person wohnt im 3. Stock ohne Lift und benötigt eine altersgerechte Wohnung. Doch sie findet keine, weil sie den Mietzins nicht finanzieren kann. Da ist die Stadt – unter definierten Voraussetzungen – bereit, einen Mietzinszuschuss von bis zu 400 Franken monatlich zu leisten. Ziel ist, dass die ältere Person zuhause wohnen bleiben kann, anstatt nur deswegen ins Heim ziehen zu müssen, weil sie die Treppen zuhause nicht mehr bewältigen kann.

Die ergriffenen Massnahmen führen also zu Mehrkosten für die Stadt.

Ja, zunächst schon. Doch wir erwarten, dass dadurch der Anstieg bei den Pflegekosten gedämpft werden kann. Im Kanton Zürich sind seit 2011 die Gemeinden zuständig, die ambulante und stationäre Pflegeversorgung, also Spitex und Alterszentren, sicherzustellen. In den letzten Jahren entstanden bei der Pflegefinanzierung Mehrkosten. Dem wirken alle Massnahmen entgegen, die darauf abzielen, dass ältere Menschen länger daheim leben können. Wollen Gemeinden stationäre Pflegekosten reduzieren, müssen sie in eine gute Altersarbeit investieren.

Wie kommen die Massnahmen bei den lokalen Organisationen und Dienstleistern rund ums Alter an?

Sie stehen dahinter, weil wir die Massnahmen zusammen mit ihnen entwickelt haben. Es gab einen Workshop zur Bedarfserhebung, zudem wurden die möglichen Massnahmen gemeinsam diskutiert, unterteilt in thematische Gruppen. Den Austausch und die Vernetzung zu pflegen, war mir immer ein grosses Anliegen, und ich konnte in Uster auf eine gute Tradition aufbauen. Je besser sich die Organisationen des Altersbereichs kennen, desto eher arbeiten sie zusammen. Und das kommt schlussendlich den älteren Menschen zugute.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Was sollten Gemeinden bei einem partizipativen Vorgehen beachten?

Partizipation ist aufwändig, sie braucht Zeit und gute Kommunikation. Zugleich führt sie zu Angeboten, die passen und breit abgestützt sind. Die Ressourcen im Altersbereich sind knapp, es gilt sie gezielt einzusetzen. Die ältere Bevölkerung muss wirklich nicht bei jedem neuen Einzelprojekt befragt werden, wohl aber bei grösseren Schritten, etwa wenn eine Gemeinde eine Altersstrategie erarbeitet oder überarbeitet. Weiter bin ich überzeugt, dass es die Gemeinde braucht, um die Zusammenarbeit der Organisationen im Altersbereich zu organisieren, also etwa zu regelmässigen Austauschtreffen einzuladen. Das gibt eine gewisse Verbindlichkeit. Ich sehe nicht, wer die Koordination sonst übernehmen sollte.

Sie gehen bald in Rente. Was würden Sie mit Ihrem Überblick sagen: ist die Schweiz jetzt alterspolitisch auf die wachsende Zahl älterer Menschen vorbereitet?

Ich kann vor allem zur Gemeindeebene reden, und da ist die Einsicht inzwischen vielenorts da, dass es die mit dem demografischen Wandel verbundenen Herausforderungen anzugehen gilt. Als ich vor knapp zehn Jahren hier in Uster anfing, waren wir im Kanton Zürich 20 kommunale Altersbeauftragte. Inzwischen sind es über 50, oft gerontologisch gebildete Fachpersonen. Gemeinden und Kantone sind gut beraten, nicht auf den Bund zu warten. Denn dort interessieren sich grosse Teile der Politik immer noch kaum für den Altersbereich.

Für was genau sollte sich die Politik mehr interessieren?

Für das grösste Problem momentan, den Fachkräftemangel in der Pflege. Für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, die man hängen lässt. Es ist mir ein Rätsel, warum nicht mindestens bei ihnen neu auch Betreuungsleistungen über das Krankenversicherungsgesetz finanziert werden. Auf verschiedenen Ebenen wären zudem mehr Investitionen in die Gesundheitsförderung nötig, damit Menschen gut altern können, körperlich und psychisch. Allerdings braucht es auch bei den Älteren selber ein Umdenken, wie ich finde.

Inwiefern sollten die Älteren umdenken?

Indem sie ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie man mit Unterstützung länger zuhause leben kann, und die Bereitschaft haben, solche Unterstützung anzunehmen und dafür auch zu bezahlen. Wir unterstützen von der Stadt her die Organisation von Freiwilligenarbeit, doch Ehrenamtliche werden nie die ganze Betreuungsarbeit übernehmen können, zumal die Situationen anspruchsvoller werden. Was ich auch wichtig finde: dass ältere Menschen digital fit bleiben. Da sind Gemeinden und Organisationen gefragt, Schulungsangebote zur Verfügung zu stellen. Doch die Älteren selber müssen wollen. Meine bald 95-jährige Mutter lernte in der Corona-Pandemie, mit einem Smartphone umzugehen. Das fand ich super.

Wie fühlt es sich an, bald selber den gesetzlich festgelegten Übergang ins Alter zu erleben?

Es wechselt immer ein wenig. Ich bin relativ spät in die Altersarbeit eingestiegen und fühle mich daher bis zum Schluss motiviert, etwas zu gestalten. Dank dem Programm Socius kann ich sogar mit einem Höhepunkt aufhören. Wie die Age-Stiftung den Gemeinden da Möglichkeiten und Freiräume verschafft, ist einfach toll. Ich zähle also keineswegs die Stunden, bis ich endlich die Bürotüre hinter mir zuschliessen kann. Zugleich freue ich mich, nach der Pensionierung soziale Kontakte stärker zu pflegen, Zeit mit meiner in Norwegen lebenden Enkelin zu verbringen. Ich will mein Englisch aufpolieren und werde mich wieder irgendwo engagieren. Wo und was das sein wird, lasse ich auf mich zukommen.

Was denken Sie, wird es Ihnen später auch einmal schwer fallen, Unterstützung anzunehmen?

Bei den Dingen im Haushalt, die ich nicht so gerne mache, wohl kaum. Bei Kompetenzen jedoch, die einem selber wichtig sind und bei denen man merkt, es geht nicht mehr so wie früher – da braucht man Zeit, um die Einbussen zu akzeptieren. Das ist ganz normal und wird auch bei mir so sein. Ich hoffe einfach, dass ich mich dann an meine Arbeit hier auf der Fachstelle Alter erinnere. Denn ich erlebe es immer wieder: Wenn ältere Menschen Unterstützung nicht annehmen können, obwohl sie nötig wäre, geht es ihnen nicht besonders gut. Verbitterung und Einsamkeit können aufkommen. Entscheiden sich ältere Menschen hingegen, Hilfe anzunehmen, geht es ihnen nachher viel, viel besser.

Zur Person: Silvia Angst leitet die Fachstelle Alter in der Abteilung Gesundheit der Stadt Uster. Bevor die Soziologin die Fachstelle ab 2014 aufbaute, war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Gerontologie der Universität Zürich. Vor ihrem akademischen Weg hatte sie eine kaufmännische Ausbildung absolviert und später Kulturprojekte organisiert. Im Frühling 2023 geht sie mit 66 Jahren in Pension.

Text: Susanne Wenger